Lehrgrabung der Universität Hamburg
An der zweiwöchigen Lehrgrabung vom 5. – 16. September 2011 nehmen acht Studentinnen und Studenten und 15 freiwillige Helfer/innen und FAN-Mitglieder (für einige Tage, eine Woche oder am Wochenende) an der Grabung teil. Prof. Dr. Ramminger und Dr. Berthold sind mit ihrem Arbeitseinsatz vorbildlich! Eine Gruppe von acht Schülerinnen und Schülern der Archäologie-AG des Ricarda-Huch-Gymnasiums aus Hannover mit ihrem Lehrer Björn Hoppe verstärkt in der zweiten Woche die Grabungsmannschaft.
Am frühen Nachmittag des 7.9. besuche ich die Grabung, um mir einen Eindruck zu verschaffen und ein wenig mitzuarbeiten; außerdem finden am Abend in Stolzenau Vorträge über das Erdwerk statt. Auf dem Feld neben dem Hof Müsleringen Nr. 8 von Landwirt Walter Denecke ist das Getreide längst geerntet, nun sind mithilfe eines Baggers zwei Grabungsflächen „geöffnet“ worden:
Fläche A ist etwa 10 x 17 m groß und so eingemessen, dass der Doppelgraben des Erdwerkes mit einer Erdbrücke als Zugang in den Innenraum der Anlage erfasst ist. So können je zwei Grabenköpfe rechts und links des Durchganges ausgegraben werden, denn in anderen neolithischen Erdwerken wurden an solchen Stellen niedergelegte Tongefäße, Stierköpfe und gelegentlich auch menschliche Knochen entdeckt. Etwa 40 m entfernt ist eine kleinere, ca. 10 x 8 m Fläche B in Bearbeitung, hier wird ein Grubenhaus aus dem Mittelalter vermutet. Schnittleiter der Fläche A ist Hubertus Sedlaczek B.A., Leiterin der Fläche B ist Viviane Bolin. In Absprache mit Frau Dr. Ramminger leiten sie die anderen Studierenden an und weisen die Grabungshelfer/innen in die grabungstechnischen Aufgaben ein.
Die vom Bagger abgezogene Humuserde liegt als Wall neben den Grabungsflächen, die von Hand abgegrabenen Sand- und Lehmschichten werden an anderer Stelle angehäuft, damit nach Abschluß der Ausgrabung zunächst wieder die Sand- und Lehmschichten in die Grabungsschnitte verfüllt werden und darauf der Humus abgelagert wird, denn der Landwirt will die nächste Saat in Humuserde ausbringen und nicht „in den Sand setzen“.
Der sandig-lehmige Boden in der Grabungsfläche A ist von Hand mit Schaufeln und Kellen eben abgezogen worden, damit Verfärbungen der Gräben bzw. Grabenköpfe und eventuelle Gruben oder Pfostenlöcher zu erkennen sind – es wurde ein Planum hergestellt. In den Verfärbungen (= Befunden) wird dann spatentief abgegraben, wieder ein Planum erstellt, weiter abgegraben, noch ein Planum erstellt usw., bis man unter dem Boden einer Grube oder der Sohle des Grabens ankommt. Jedes Planum wird anschließend fotografiert und sowohl flächig als auch in der Höhe eingemessen (nivelliert), bevor weiter abgegraben wird.
Von jedem Befund wird zunächst nur eine Hälfte ausgegraben, so erhält man eine möglichst senkrechte Profilwand, in der Schichtungen sichtbar werden können, die als Stratigraphie bezeichnet wird. Die Profile werden ebenfalls fotografiert und auch von Hand gezeichnet. Die abgegrabene Erde aus den Befunden wird auf Scherben, Knochen oder Metallstücke durchsucht und dann per Schubkarre auf die Abraumhalden gefahren.Die Funde erhalten Fundzettel mit Befund- und Fundnummer, Ort, Datum und Finder und werden eingetütet. Damit sollen sie, auch noch nach Jahren, jedem Befund der Grabung zugeordnet werden können.
Bei meinem Besuch treffe ich Heinz-Dieter Freese, Michael Götze aus Braunschweig, Karl-Heinz Seebode aus Marklohe, Oktavian Bartoszewski aus Hessisch Oldendorf und weitere Freiwillige an, die seit Montag auf der Grabung mitarbeiten und nach drei Tagen anstrengender und ungewohnter Arbeit zum Teil schon ziemlich erschöpft wirken. Auch Dachdeckermeister Axel Buchholz aus Minden hat an zwei Tagen der ersten Grabungswoche sehr viel Erde weggeschafft, wie Freese erzählt. Sandra Leithauser habe während ihrer Schwangerschaft den „Umständen“ entsprechen einige Tage mitgearbeitet!
Freese berichtet außerdem, dass das Wetter eigentlich durchgehend sehr herbstlich und anstrengend gewesen sei: „von dem stetigen Wind glühte mein Gesicht nach Feierabend, als hätte ich Sonnenbrand“. Und am Dienstag der ersten Grabungswoche habe die Feuerwehr Müsleringen ein schweres Mannschaftszelt herbeigeschafft, „wir haben es auch aufgebaut, aber es war in dem Starkwind nicht zu halten und flog uns mitsamt dem Metallgestänge um die Ohren, ein ziemlich gefährliches Grabungserlebnis!“
An einem Befund sind zwei Grabungshelfer beschäftigt: einer spatet und schaufelt die Erde in eine Schubkarre, der andere durchsucht die Erde und fährt die Karre zum Abraum. An anderer Stelle knieen Sandra Leithauser und zwei Studentinnen auf dem Boden und ziehen mit Maurerkellen ein Planum ab, während K.-H. Seebode die Erde in die Schubkarre schaufelt. Ich arbeite hier spontan mit und kann bis zum Feierabend um 16.30 Uhr noch zwei Dutzend Schubkarren abfahren.
Am Abend findet im Kirchengemeindesaal in Stolzenau von 20 – 21.30 Uhr ein Vortragsabend zu den archäologischen Untersuchungen in Müsleringen statt. Leider konnte ein vereinbarter Zeitungsartikel nicht rechtzeitig erscheinen, sondern nur ein kleiner Terminhinweis. So sind nur ca. 25 Personen erschienen, überwiegend Studierende und Grabungshelfer, die den Vorträgen von Dr. Jens Berthold (über die Arbeit der Kommunalarchäologie 2009 – 2011), Frau Junior-Prof. Dr. Britta Ramminger (über die geomagnetischen Untersuchungen 2010 und die jetzige Lehrgrabung) und Heinz-Dieter Freese (über die Entdeckung des Erdwerkes und erste Sondagegrabung durch den FAN) lauschen. Unter den Zuhörern ist auch Frank Ohlrogge aus Stolzenau-Nendorf, der schnell entschlossen an den letzten Tagen der zweiten Grabungswoche mitarbeiten wird.
Auch am Samstag und Sonntag (10. und 11.9.) arbeiten freiwillige Helfer unter Leitung von Prof. Dr. Ramminger und Dr. Wilhelm Gebers auf der Grabung mit. (Die Studierenden haben ein freies Wochenende.) Am Samstag sind es ca. zehn Helfer/innen: u. a. Rebecca Dühren aus Hamburg mit Patensohn, Anneliese Gebers, Uve Kubitschek, Norman und Rouven Ossadnik, und ich, alle aus Hannover.
Nach der ersten Grabungswoche ist ein Grabenkopf schon fast zwei Meter tief bis an die Sohle ausgegraben, bei drei Grabenköpfen steht die meiste Arbeit noch bevor. Und diese Arbeit in den Grabenköpfen ist stellenweise sehr anstrengend, denn die abwechselnd mit lockeren Sandschichten angetroffenen Lehmschichten sind steinhart und nur mit kräftigen Spatenstichen oder gar der Breithacke zu durchschlagen.
Walter Denecke ist Landwirt und Grundeigentümer des Grabungsgeländes. Er hat schon vor vielen Jahren auf diesem Acker Mahlsteine ausgepflügt, der Denkmalpflege gemeldet und Grabungen an anderer Stelle des Hofes erlebt. Sein Interesse an der Erforschung der „sehr frühen“ Bewohner seiner Hofstelle ist nach wie vor sehr groß. Er ist täglich auf der Grabung und unterstützt das Grabungsteam auf vielfältige Weise. Arbeitsgeräte und Fundkartons werden über Nacht in seinem Schuppen gelagert, er hat einen kleinen Pavillon aufgebaut, einen Tisch und Stühle bereitgestellt und täglich fährt er mit Traktor und Hänger einen sehr großen Wasserbehälter an die Grabungsfläche. Mit dem Wasser können sich die Mitarbeiter nicht nur die verdreckten Hände waschen, sondern auch eimerweise Erde durch Siebe schlämmen, um auch noch kleine Scherben, Feuersteinbruchstücke oder verkohlte Getreidekörner zu entdecken.
2. Grabungswoche:
In der zweiten Grabungswoche arbeite ich fünf Tage mit. Um nicht täglich an- und abreisen zu müssen, habe ich mich in einem kleinen Gasthaus in Stolzenau einquartiert. Im „Burgmannshof“ habe ich hervorragend gegessen und wunderbar geschlafen – nach anstrengender Arbeit sehr erholsam! Die tägliche Arbeitszeit ist von 08.00 Uhr bis 17.00 Uhr, um 11.00 und 14.00 Uhr gibt es Pausen von 30 Minuten, die gelegentlich auch länger dauern.
In dieser Woche nehmen teil: Uve Kubitschek, Uwe Milde aus Auetal, K.-H. Seebode, Frank Schrader aus Müden/Aller. Einen Tag oder zwei sind Wilhelm Meyer aus Bomlitz und Frank Ohlrogge aus Nendorf dabei, drei Tage Hans-Reinhold Thiele aus Ronnenberg. Am Montagmittag treffen auch Björn Hoppe und sieben Schülerinnen und Schüler im Alter von 11 – 14 Jahren der Archäologie-AG ein. Heute lernen sie die Ausgrabung kennen, an den folgenden Tagen arbeiten sie von morgens bis mittags mit, um nachmittags die Erlebnisse auf der Grabung aufzuarbeiten. Die Gruppe ist im „Gästehaus der Nationen“ in Stolzenau untergebracht und fährt morgens mit dem Bus einen gehörigen Umweg, bis die Haltestelle in Müsleringen erreicht ist. Mittags geht es zu Fuß nach Stolzenau zurück.
Die Ausgrabung der vier Grabenköpfe in Fläche A und des mittelalterlichen Grubenhauses in Fläche B wird in kleinen Teams fortgeführt: jeweils zwei bis drei Studenten, Schüler oder Grabungshelfer arbeiten an einer Stelle bzw. einem Befund. Schüler Philipp (11) hockt in einer Grube, die Dr. Berthold für ein Querprofil durch einen schmalen Graben auf der Erdbrücke zwischen den Grabenköpfen angelegt hat. Nach einer kurzen Einweisung in das handwerkliche Vorgehen zeichnet Philipp selbständig das Profil maßstabsgetreu auf Millimeterpapier und freut sich über die Anerkennung für sein Werk.
Das Grubenhaus (?) ist etwa 4 x 5 m groß mit runden Ecken und über einen Meter in die Erde eingetieft. Es wird in Viertelkreisabschnitten so ausgegraben, daß ein kreuzförmiger Steg stehen bleibt. Die Stegwände bilden damit ein Längs- und Querprofil durch das Grubenhaus und zeigen die Verfüllungsschichten, die sich nach Aufgabe oder Brand des Hauses gebildet haben. Aus der Verfüllung werden viele, auch verzierte, Scherben und Tierknochen geborgen.
Die Grabenköpfe werden jeweils in Längsrichtung zur Hälfte ausgegraben, so dass beim Abgraben bis auf Planum 9 oder 10 ein senkrechtes Quer- und Längsprofil entsteht, in dem die zahlreichen Schichtungen aus hartem braunen Lehm und hellen lockeren Sanden schön zu sehen sind.
Bis Freitagnachmittag ist in allen Grabenköpfen in mehr als 2 m Tiefe die Grabensohle in einer Grabenhälfte erreicht. Die zweite Grabenhälfte kann leider nur in einem Grabenkopf komplett bis zur Grabensohle ausgegraben werden. Hier wird dann am Donnerstagnachmittag ein ganz besonderer Fund entdeckt: ein Ensemble aus Mahlstein, Reibstein, Tonteller, Scherbe und verkohltem Getreide.
Am Dienstag- und Donnerstagabend kann ich H.-D. Freese telefonisch über den Fortgang der Ausgrabung informieren. Sehr beeindruckt hat ihn die Arbeitsleistung aller Beteiligten wegen der Bodenverhältnisse und sehr erfreut zeigt er sich natürlich über den Fundkomplex im Grabenkopf.
Auch von dem schönen Grillfest am Mittwochnachmittag vor der Scheune von Landwirt Denecke habe ich berichtet. Die Studenten und die Schüler hatten Salate gemacht, Grillfleisch und Würstchen, Getränke und Holzkohle eingekauft. Herr Denecke und seine Schwester, Frau Rethorn aus Brake (die für den täglichen Besuch der Grabung eine Woche Urlaub genommen hatte!), hatten Grills und Sitzgelegenheiten herbei geschafft. Von 16 bis 19 Uhr gab es natürlich auch viel zu erzählen, ein gelungener Abschluß eines anstrengenden Arbeitstages.
Was ist sonst noch geschehen?
Neben der Grabung wird die geomagnetische Prospektion von Dr. Markus Helfert, Universität Hamburg, fortgesetzt und beendet. Dr. Nicole Kegler-Graiewski, Institut für Geowissenschaften der Universität Kiel, nimmt aus zwei Grabenprofilen Bodenproben zur Röntgenuntersuchung der Feinstratigrafie der Lehmschichten. Ronald Reimann aus Hohnhorst ist ehrenamtlich Beauftragter für die Denkmalpflege und fast täglich auf der Grabung. Wegen einer Handverletzung kann er nicht selbst mitarbeiten, er führt Gespräche mit den Verantwortlichen und sucht – wie auch zwei Grabungshelfer – gelegentlich mit der Metallsonde nach Funden.
Andreas Brümmer von der Ortsfeuerwehr Müsleringen lässt einen großen Lenkdrachen steigen, an dem eine Kamera aufgehängt ist, und macht Senkrechtaufnahmen von der Grabungsfläche, die er auf seinem Laptop ansehen und speichern kann. Auch FAN-Mitglied und Pilot Günter Lange ist mit dem Flugzeug unterwegs und macht Luftbildaufnahmen.
Und es kommen Besucher, an einigen Tagen zwei bis fünf, am Donnerstag scheint der „Tag der offenen Grabung“ zu sein: etwa 15 Personen besichtigen im Laufe des Tages die Grabungsflächen und werden von Prof. Dr. Ramminger und Dr. Berthold ausführlich informiert. Unter den Besuchern sind der frühere Landesarchäologe Dr. K. Wilhelmi und sein derzeitiger Nachfolger Dr. H. Haßmann hervorzuheben, der mit MitarbeiterInnen aus dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege die Grabung besucht.
Zum Abschluß der zweiwöchigen Grabung haben Prof. Dr. Ramminger und Dr. Berthold den Schüler/innen und Grabungshelfer/innen sehr herzlich für ihre tatkräftige Mitarbeit gedankt. Diesem Dank habe ich mich im Namen von H.-D. Freese und des FAN-Vorsitzenden Dr. Gebers gerne angeschlossen. Die Kosten der Ausgrabung wurden z. T. durch Zuschüsse des Landschaftsverbandes Weser-Hunte (1725 €) und des FAN e.V. (500 €) finanziert, wofür ebenfalls herzlich gedankt wird.
Bericht Gerd Lübbers